Adagio (1865)

Adagio.

  1. Vortragsbezeichnung, mäßig langsam
  2. als Substantiv gebraucht, das Adagio, ein Tonstück von dieser Bewegungsart, entweder als zweiter oder dritter Satz der Sinfonie oder Sonate (siehe Sonate), oder als selbständiger Tonsatz im Wesentlichen die nämlichen Formen einhaltend.

Mit ebenso viel Schwierigkeiten, wie die Komposition eines guten Adagio, ist auch der Vortrag desselben verknüpft. Denn die langsame Bewegung lässt jeden Zug, der entweder an sich nicht hinlänglich bedeutend ist oder weniger zum ganzen Charakter des Tonsatzes passt, bei weitem merklicher hervortreten als eine schnelle. Außerdem kann ein langsamer Satz leicht übertrieben breit, schwerfällig und, wenn nicht genügende Gedankenfülle vorhanden ist, sehr langweilig werden. Ganz dasselbe gilt von der Ausführung, die übrigens neben dem langsamen Zeitmaße, im Allgemeinen und wenn nicht andere Bestimmungen gegeben sind, einen durchaus getragenen und gesangreichen Vortrag verlangt. Unerlässlich ist ein großer, bedeutender, dabei aber durchaus biegsamer Ton, der jede auch noch so feine innere Bewegung auszudrücken vermag. Mit dünnem und spitzigem Striche oder Anschlage wird man im Adagio ebenso wenig ausrichten als mit Steifheit der Bogenführung. Ferner eine durchaus feine Nuancierung der Stärke und Schwäche, damit alle Innerlichkeit der Melodie, soweit sie durch dynamische Modifikation sich kundgeben kann, zur Geltung komme, außerdem aber auch der Vortrag farbenreich und abwechselnd werde. Denn der Ausführende läuft im Adagio ebenso leicht Gefahr, den Hörer zu ermüden, wie der Komponist.

In früheren Zeiten suchte man durch Manieren und Veränderungen des Gesanges vor etwaigem Langweiligwerden sich zu schützen, verfiel dadurch aber nur aus einem Fehler in den anderen, indem solcher Aufputz den Charakter des Adagio beeinträchtigt. "Koloraturen im Adagio sind Unsinn, so sehr die Mode auch diesen Unsinn autorisiert. Man glaubt, ruhende Tasten durch Schnörkel beseelen zu können; aber Schnörkel beseelen nicht" etc. bemerkt Schubart (Aesthetik S. 293).

Es ist kein Zweifel, dass der Vortrag desselben vor allem anderen einen vollkommenen Musiker verlangt, der ebenso mannigfaltig und belebt an Klang und Ausdruck wie einfach, ernst und gesund darzustellen weiß, was er ebenso tief wie natürlich empfindet. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 20f]