Abenteuerlich (1865)

Abenteuerlich nennt man eine solche Überspannung des Ungewöhnlichen und Wunderbaren, wodurch, dem beabsichtigten ernsten Eindruck entgegen, eine komische oder lächerliche Wirkung hervorgebracht wird. In Handlungen, die wir abenteuerlich nennen, liegt eine gewisse Beanspruchung einer Genialität, die aber nicht als solche, sondern mehr nur als Kontrast derselben, als Verschrobenheit, sich erweist und es auch nur bis zur Karikatur bringt, indem sie stets das Außerordentliche aufsucht und unternimmt, es aber zu gar nichts oder nur zu etwas Verkehrtem bringt, weil ihr die zu allem bedeutenden Handeln notwendige Harmonie aller Kräfte fehlt. Das Abenteuerliche kann sowohl im Stoff als in der Behandlung und in beiden zugleich liegen; der Raum aber gestattet nicht, hier genauer zu untersuchen, ob man, ohne bis zu Programmexperimenten sich versteigen zu wollen, in der nicht mit Text oder Darstellungen verbundenen Musik von Abenteuerlichkeit des Stoffes, oder nicht vielmehr nur von Abenteuerlichkeit der Behandlung und Entwicklung sprechen darf. In letzterer Hinsicht aber äußert sich das Abenteuerliche in Mangel an Einheit und Harmonie des Ganzen und in Mangel an Proportion der einzelnen Teile; im Zusammenbringen des Ungehörigen und in solchen Gegensätzen, die einander nicht ergänzen, sondern aufheben; im falschen Pathos und in dem Bemühen, leeren Hirngespinsten, Phantastereien, Donquixoterien einen Anschein von Realität zu geben; in der Behandlung von Dingen, die jeder vernünftige Mensch als nichtig durchschaut, mit wichtigem Ernste etc. Hieraus kann eine lächerliche Wirkung entstehen, um so mehr, mit je größerem Ernste solche Dinge vorgebracht werden. Doch liegt die Grenze des hässlichen und Widerwärtigen nicht fern, und es fragt sich, ob der Eindruck von Abenteuerlichkeiten in der Musik in der Tat nur lächerlich oder komisch und nicht vielmehr jederzeit sogleich hässlich und widerwärtig ist. Denn gerade der Widerspruch, in welchem die Phantasterei selbst zu dem Ernste und Scheine von Wahrheit steht, mit dem sie vorgebracht wird, kann wohl in der Dichtkunst, welche alle Umstände deutlich zu erklären und zu motivieren vermag, komisch wirken, ohne sogleich hässlich zu sein; die Musik aber hat diese Erklärung und Motivierung nicht in der Gewalt, das Gefühl empfängt nur den widerwärtigen Eindruck der Unwahrheit und Unnatur. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 2]